Vor 30 Jahren schaffte Winzer Alois Kracher den internationalen Durchbruch. Sohn Gerhard feierte das mit einer einzigartigen Weinzeitreise ins Jahr 1995.
Alois Kracher platzte in mein Leben wie eine Fliegeralarmsirene während eines friedlichen Schläfchens.“ So beschrieb der bekannte Weinkritiker Robert Parker einst seine erste Begegnung mit dem legendären burgenländischen Süßweinwinzer. Parkers „Fliegeralarmsirene“ war die Weinlese 1995. Ein Jahrgang, der das Leben auf dem Weingut Kracher in Illmitz für immer verändern sollte. Ein Jahrgang, der mit Kracher auch den österreichischen Wein ins internationale Rampenlicht stellte. Plötzlich schrieb Parker über österreichischen Wein.
30 Jahre später holte Gerhard Kracher diesen großartigen 1995er in seiner ganzen Fülle von 15 Trockenbeerenauslesen aus dem Keller und lud zu einer historischen Verkostung, die vor allem auch eine Reminiszenz an seinen Vater war. „Ich war damals vierzehn Jahre alt, als der Wein geerntet wurde. 16, als er auf den Markt kam“, erzählt Gerhard Kracher. Dieser Jahrgang war derart außergewöhnlich, dass sein Vater es nicht übers Herz brachte, zu viele Fässer zu einem Wein zu verschneiden. Am Ende waren es 15 Weine. Und um den Überblick zu behalten, wurden diese einfach durchnummeriert. „Und zwar in jener Reihenfolge, in der mein Vater diese Weine getrunken hätte“, erzählt Kracher. Die Nummer 1 war also eine „Trockenbeerenauslese Welschriesling Zwischen den Seen“. Nach 30 Jahren hat dieser Wein nichts an Spannung verloren. Natürlich hat er sich dunkel verfärbt und die Aromen überdecken die Süße. Letzteres macht das Ganze sogar reizvoller.
Mut zum Risiko
Bis heute werden diese Weine im Hause Kracher nummeriert. 15 Trockenbeerenauslesen in einem Jahr hat es aber nie wieder gegeben. Was Gerhard Kracher als Teenager nicht gewusst und erst später erfahren hat. Dieser Jahrgang musste auch gelingen. Sein Vater hatte so gut wie alles auf eine Karte gesetzt. 1991 hatte er seinen Beruf beim Pharmakonzern Immuno (später Baxter) an den Nagel gehängt und sich ganz dem Weinbau zugewandt. Er kaufte Weingärten und Trauben zu. „In diesem Jahrgang steckte sein ganzes Geld und darüber hinaus“, betont Kracher.
Dieser Mut zum Risiko wurde schließlich auch belohnt. 1995 brachte nicht nur außergewöhnliche Qualität, sondern auch eine große Menge. Gerhard Kracher erinnert sich, dass im Weinkeller neue Fässer und Tanks aufgestellt wurden. Jeder Winkel wurde genutzt, sogar der Stadl musste als Weinnotquartier herhalten und einige Fässer wurden sogar bei einem benachbarten Winzer untergebracht. Diese 15 Weine lagerten in 60 bis 70 Gebinden. „Es war zehnmal so viel Wein wie in den Jahren zuvor“, erzählt Gerhard Kracher und erinnert sich, dass sein Vater kaum geschlafen hatte, weil er sogar mitten in der Nacht aufschreckte, um die Fässer zu kontrollieren. „Mein Vater war höchst nervös.“
Und man muss sich nicht bis zur „Trockenbeerenauslese Nr. 15, Welschriesling Zwischen den Seen“ mit 368 Gramm Restzucker durchkosten, um zu begreifen, welch ein Schatz hier vor 30 Jahren geschaffen wurde. „Die Nummer 15 wäre fast kein Wein geworden“, erzählt Kracher. Denn laut österreichischem Weingesetz muss ein Wein mindestens fünf Volumenprozent Alkohol aufweisen, um sich Wein nennen zu dürfen. Drei Anläufe bedurfte es, bis die strengen Prüfer 5,2 Volumenprozent attestierten und auf dem Etikett die erlaubt aufgerundeten 5,5 zu lesen waren. Heute duftet dieser Wein nach frischen Marillen, trinkt sich jugendlich und lässt den Weinfreund mit der Gewissheit zurück, dass dieser Wein viel länger leben wird als er selbst.
Alois Kracher war ein langes Leben nicht vergönnt. Er starb 2007 im Alter von nur 48 Jahren. Die Beziehung zu seinem Vater sei schwierig gewesen, gibt Gerhard Kracher zu. „Er war viel härter zu mir als zu allen anderen“, erzählt er. Am härtesten war Alois Kracher allerdings zu sich selbst, berichten Weggefährten. Denn sein Perfektionismus stand ihm mitunter auch im Wege. „Er ist von einem Ideal ausgegangen, das in der Realität nicht erreichbar ist“, sagt ein renommierter Weinkritiker. Aber beinahe erreichbar, wie der 1995er und viele Jahrgänge später bewiesen haben.
Lieber Winzer als Studium
Den größten Krach zwischen den beiden Krachers gab es, als Alois erfuhr, dass Sohn Gerhard sein Wirtschaftsstudium hingeschmissen hatte. „Er hat drei Monate nicht mit mir geredet“, erzählt Gerhard. Sein Vater hätte so gerne studiert, aber es war ihm nicht möglich gewesen. So sollte zumindest der Sohn diese Chance bekommen – und auch nutzen. „Ich wollte aber unbedingt Winzer werden“, sagt er und bereut seinen damaligen Entschluss, das Studium hinzuschmeißen, keine Sekunde. „Bitte erzählt das aber nicht meinen Kindern“, sagt er heute lächelnd. So ändern sich Zeit und Perspektive.
Heute bewirtschaften Yvonne und Gerhard Kracher eine knapp siebenmal so große Rebfläche wie Alois Kracher am Beginn seiner Winzerlaufbahn. Der Jahrgang 1995, betont Gerhard Kracher, „wird aber immer ein Meilenstein unseres Weinguts sein“.
Von Gerhard Hofer | Die Presse
